Alpenländisches Märchen

Es war'n einmal zwei Brüder -holari holaro-
die verließen Haus und Hof -holari holaro-
um das Leben zu entdecken -holari holaro-
und das wahre Glück zu finden -holari holaro-

Der Vater rief die beiden zu sich und sagte: „Geld kann ich euch keines geben, doch habe ich ein Geschenk für euch: zwei Rucksäcke. In einem steckt die Wahrheit. Und im anderen das Märchen. Wer sich mit der Wahrheit auf den Weg macht, hat sich sehr schwer abzumühen. Doch ist sein Gepäck wertvoll wie kein anderes Gut auf Erden. Der andere wird die Last auf seinem Rücken kaum zu spüren bekommen. Märchen haben kein Gewicht, mit Leichtigkeit sind sie zu tragen -holari holaro-

Die Brüder waren sich einig -holari holaro-
über Märchen oder Wahrheit -holari holaro-
irgendwann seh'n wir uns wieder -holari holaro-
auf, die Wanderschaft beginnt -holari holaro-

Hier will ich mein Glück versuchen, denkt sich der Bruder mit der Wahrheit auf dem Buckel und klopft an das erste Haus auf seinem Weg. „Ich habe euch etwas mitgebracht“, und zeigt auf seinen Rucksack.
„Ein Fremder? Mit Geschenken? Was will er? Was bezweckt er? Lieber nicht, nein danke und Auf Wiedersehen!“
Seltsam, denkt er sich, wenn die gewusst hätten, welchen Schatz ich ihnen bringe, wär' die Freude sicher groß gewesen -holari holaro-

Auch der andere Bruder bleibt beim ersten Haus stehen und ruft: „Hallo, Leute! Ich bringe euch das Märchen! Lasst mich ein!“
„Märchen?! Glaubst du, wir haben nichts Wichtigeres zu tun, als uns Märchen anzuhören? Hast du nichts übers wahre Leben zu berichten, wie wir zu mehr Brot und zu einem besseren Bürgermeister kommen? Das ist's, was wir brauchen und nicht Kleinkinderkram.“
Seltsam, denkt er sich, war wohl das falsche Haus. Beim nächsten wird es sicher besser gehen -holari holaro-

Drei Monat sind vergangen -holari holaro-
doch alle Türn blieben verschlossen -holari holaro-
wer will schon die Wahrheit hören -holari holaro-
und wer sich an den Märchen freuen -holari holaro-

Verzweifelt lief der Bruder, der, der die Wahrheit zu verschenken hatte, durch die Welt. Das Gewicht, das auf seinem Rücken lastete, war kaum noch zu ertragen.
Als er an einen Fluss kam, wollte er schon den Rucksack mit der Wahrheit ins Wasser werfen, für alle Zeiten. Plötzlich aber sah er am anderen Ufer einen Mann, der sich gerade seinen Rucksack vom Rücken nahm und in der Luft schwang, als wolle er ihn für alle Zeiten den Fluten übergeben.
„Halt! Bist du es, Bruder?!“ - Ja, er war's! Was war das für ein Wiedersehen -holari holaro-

Erzählten Stunden, tagelang, was sie erlebten -holari holaro-
fanden beide nicht das Glück -holari holaro-
wissen nicht, was sie nun tun soll'n -holari holaro-
mit dem Märchen und der Wahrheit -holari holaro-

Plötzlich sagte der eine: „Bruder, du hast so schwer zu tragen, dass du kaum noch vorwärtskommst, ich hingegen leide unter der Leichtigkeit, Nichtigkeit meiner Last." Und der andere sagte: „Ja, ich verstehe, was du meinst! Lass uns teilen und gemeinsam zu den Menschen gehen!“ -holari holaro-

Und von diesem Tag an -holari holaro-
wandern Märchen und Wahrheit -holari holaro-
Hand in Hand von Ohr zu Ohr -holari holaro-
und ein jeder liebt sie -holari holaro-holareidulio-