Erbse, Tisch und König

Es waren einmal eine Erbse, ein leerer Tisch und ein nackter König. Das Schicksal, so unglaublich es auch klingen mag, hatte die drei zusammengeführt. Und das kam so:
Kaum war die Prinzessin, die man ja von der unglaublichen Geschichte mit der Erbse kennt, zur Königin gewählt, entpuppte sie sich als grausame Herrscherin, die ihrem Volk hart zusetzte.

Das königliche Schloss zu stürmen, das ungerechte Herrscherpaar vom Thron zu stürzen, war unmöglich, doch wollte das Volk irgendein Zeichen der Empörung setzen.
Nun wusste man aus den Erzählungen der Alten, dass der Königin liebster Schatz eben jene Erbse war, der sie die Thronbesteigung zu verdanken hatte. Einem wackeren Handwerksburschen gelang es nun wahrhaftig, das Gemüse, das auf rotem Samt gebettet war, aus der Kunstkammer zu rauben.
Die Erbse wurde, unter dem Gejohle des tobenden Volkes, zum Richtplatz in der Nähe des Flusses gebracht, dorthin, wo Woche für Woche der Scharfrichter die Urteile der grausamen Königin zu vollstrecken hatte.

Der beste und mutigste aller Scharfrichter war angereist, die Erbse in Stücke zu spalten. Er hob das Beil, schon sauste der Arm herab und traf die Erbse.
Aber - und dies hatten die Aufrührer natürlich nicht bedacht - die Erbse war hart wie Stahl, wie sonst hätte ein Mensch, und sei es eine Prinzessin, sie unter zwanzig Matratzen und zwanzig Eiderdaunen-Decken erfühlen können. Vom Beil nur am Rande getroffen, wurde die Erbse in die Luft geschleudert, hoch in die Luft, tausende Augenpaare folgten ihr atemlos, bis die Ursache aller Tyrannei mit einem leisen Platsch in den Fluten des Flusses aufschlug.

Dies, doch davon nur ein Satz, war der Beginn einer Revolution, die das Ende der Königsherrschaft bedeuten sollte. Dass sie ein zweites Mal die Geschichte des Königreiches beeinflusst hatte, ahnte die Erbse nicht. Gemütlich schaukelnd zog sie dem Meer entgegen. Doch nicht lange sollte ihr Friede gegönnt sein, denn schon nach kurzer Seereise kam es zur Begegnung mit einer Ente, die das Gemüse zusammen mit einer Fliege und einem Gänseblümchen kurzerhand und sehr respektlos verspeiste.
Fliege und Gänseblümchen mögen verzeihen, die Aufzeichnung ihrer Schicksale wäre durchaus auch erzählenswert, würde aber den Rahmen dieses Märchens sprengen, weshalb darauf verzichtet wird...

Erbse, Tisch und König, der Zweite Teil

Am Flussrand lag ein nackter König. Fast nackt - ein Stückchen Hermelin, seine Lenden zu bedecken, war alles, was die Revolution ihm gelassen hatte. Ein böser Streich zweier Betrüger, die sich als Weber eines ganz besonderen Stoffes ausgegeben hatten, eigentlich nur als Scherz mit dem eitlen König gedacht, hatte in diesem Königreich dazu geführt, den König von seinem Thron, aus seinem Reich zu verjagen.

Jetzt lag er am Flussrand und hatte Hunger. Da sah er eine fette Ente daherschwimmen, und mit Hilfe seines Hermelins als Lockvogel gelang es ihm, die Ente zu erbeuten. Nun saß er mit dem fetten Tier da und wusste nicht, was tun. Wann hatte ein König jemals mit der Zubereitung von Speisen zu tun gehabt? So machte er sich auf den Weg und erreichte bald ein Wirtshaus, in das er eintrat.

Der Wirt staunte nicht schlecht, als er den nackten König sah (die Krone trug er ja noch am Kopf als Zeichen seiner Würde). Doch hatte er Mitleid, und obendrein lockte das Angebot, die Ente gemeinsam zu verspeisen. Er zog den vertriebenen Monarchen in die Küche und holte ihm aus der Abstellkammer einen alten, wackeligen Tisch und hieß ihn niedersitzen.

Nun saß der nackte König an einem Tisch, der einst ein ganz besonderer war. Vor vielen Jahren war er in die Abstellkammer des Wirtes gekommen. Ein junger Bursche hatte ihn bei sich getragen und eine abenteuerliche Geschichte erzählt: dass er ein Zaubertisch sei, der Speisen und Getränke auf einen Spruch hin schenkt - was natürlich niemand glaubte. Er selbst sei der Sohn desjenigen, der den Tisch gewann, der ihm und seiner Familie großen Reichtum eingebracht hatte. Doch sei die ganze Familie, der Großvater und seine drei Söhne, einem Raubverbrechen zum Opfer gefallen, und alles, was ihm, dem Sohn und Enkelsohn, geblieben sei, war dieser Tisch gewesen. Doch ohne Zauberspruch, den er nie erfahren hatte, war er doch erst ein Jahr, als die Mordtat geschah, funktionierte das Tischlein nicht.

Damals hatte der Wirt Erbarmen mit dem Verrückten gehabt und ihm für das Tischchen eine Woche Quartier und Essen geboten. „Majestät, wohl bekomm's“, lachte der Wirt und stellte dem nackten König die gebratene halbe Ente auf den Tisch.
Gierig biss der König in den Braten - schrie voll Schmerzen auf - und spie neben seinem Zahn auch etwas Eisenhartes auf den Tisch. „Eine Erbse, hart wie Stahl?!“ sagte er und konnte es nicht fassen.
Und niemand, weder Erbse noch Tisch, weder der König noch der Wirt, auch der Herd nicht, nicht die Fliegen, weder Suppentopf noch Fenster ahnten, welch unglaubliche, unfassbare, ja wahrlich märchenhafte Fügung die drei hier zusammengeführt hatte.