Intensiv

Ina ist Krankenschwester. Sie arbeitet auf der Intensivstation einer Klinik, jede Nacht von sieben Uhr abends bis sieben Uhr morgens. Wenn Ina sich um ihre Patienten kümmert, tut sie dies gewissenhaft und konzentriert. Schwerkranke Menschen verlassen sich auf sie und ihre Pflege.

Sie trägt viel Verantwortung, schon während ihrer Zeit in der Krankenpflegeschule war ihr das bewusst. Doch anders als die anderen Pflegerinnen und Pfleger hat die 22-Jährige in ihrem Beruf besondere Hürden zu meistern. Hürden, die dem Großteil ihrer Kollegen nie in den Sinn gekommen wären: Denn Ina ist im Alter von drei Jahren in Folge einer bakteriellen Meningitis ertaubt. Seitdem ermöglichen ihr zwei Cochlea Implantate zu hören. Ihre Hörbeeinträchtigung hielt sie jedoch nie davon ab, ihre Träume zu verfolgen und ihrem Wunschberuf nachzugehen.

Trotzdem, vor allem zu Beginn ihrer Ausbildung, gab es auch für Ina Momente der Panik. Wenn sich Herausforderungen auftun, die das Gefühl vermitteln, hier hört der Weg jetzt auf, dann gibt es zwei Optionen: Aufgeben oder eine Lösung finden. Ina wollte immer Lösungen finden. Also suchte sie Möglichkeiten, die ihr halfen, jeden Stein, der in ihrem Weg lag, aufzuheben und weiterzugehen.

Die Ohrbügel üblicher Stethoskope münden direkt in den äußeren Ohrkanal. Das funktioniert bei CI-Trägern nicht, denn der Audioprozessor des Systems überträgt direkt zum implantierten Teil hinter dem Ohr. Ina fand eine Alternative in einem Stethoskop, das an beliebige Kopfhörer angeschlossen werden kann.

Ein herkömmlicher Wecker nutzt nichts, wenn die Audioprozessoren beim Schlafen abgenommen werden. Ina nutzt den Vibrationswecker ihrer Armbanduhr und ihr Assistenzhund hilft, sollte sie doch einmal verschlafen.

Die Laufzeit ihrer Audioprozessoren geht zwar über mehrere Tage, doch wird eine Batterie leer, muss Ina schnell reagieren. Ina trägt deshalb immer zwei Garnituren Reservebatterien mit sich: eine in der Hosentasche ihrer Arbeitskleidung, eine in ihrer Handtasche.

Missverständnisse in hektischen Situationen können in ihrem Beruf schwerwiegende Folgen haben. Also arbeitet Ina nach dem Closed-Loop Prinzip. Das bedeutet, dass sie Anweisungen und Aufgaben ihrer Vorgesetzten wiederholt, bevor sie sie ausführt: „0,5 Milligramm Atropin! Ich gebe 0,5 Milligramm Atropin.“ Alle auf Inas Station nutzen diese Technik. Fehler werden so vermieden, Leben gerettet.

Auf einer Intensivstation gibt es viel zu hören. Signaltöne, Gespräche, Schritte. Jeder Mensch, jedes Gerät gibt einen Laut von sich. Ina muss ständig konzentriert zuhören, um den Überblick zu behalten. Jedes Geräusch hat etwas zu bedeuten, Vorausdenken und Fokus sind fester Bestandteil ihrer Berufsbeschreibung. Pausen sind deshalb besonders wichtig. 30 Minuten hat Ina täglich Zeit, um sich zurückzuziehen und zu regenerieren. Die Pause verbringt sie am liebsten allein, ohne Lärm, ohne laute Geräusche. Zeit für das Gehirn, sich wieder aufzuladen. Eine „Hörpause“ nennt Ina das. Stille, die ihr erlaubt, zur Ruhe zu kommen, bevor die Hektik wieder losgeht. Obwohl, Stille stimmt nicht ganz: Für den Notfall bleibt sie immer über ihren Pager erreichbar. Hört sie das Piepen des kleinen Kästchens, weiß sie, dass sie gebraucht wird.

In einem unruhigen und hektischen Umfeld wie dem einer Klinik kann es manchmal schwierig sein, alle Geräusche wahrzunehmen und zuzuordnen. Ina hat das Glück, dass alle akustischen Alarme im Krankenhaus auch ein entsprechendes Lichtsignal haben. Wenn also das Beatmungsgerät piept, leuchtet auch die Anzeige am Gerät. Ina kann die verschiedenen Tonhöhen der Geräte problemlos auseinanderhalten, weiß, wo sie hinschauen muss, um das Problem zu finden. Hört sie also den Alarm eines Beatmungsgeräts und ist sich nicht sicher woher, schaut sie im Zimmer ihres Patienten nach, ob dort etwas aufleuchtet. Ina hat gelernt, dass sie ihre Sinne kombinieren muss, um ein vollständiges Bild zu erhalten.

Ihre Cochlea Implantate sieht Ina als Möglichkeit, anderen Menschen Hoffnung zu schenken. Sie möchte sie nicht verstecken, vielmehr trägt sie sie stolz nach außen, steckt ihre Haare absichtlich hoch, um sie zu zeigen. Ina möchte ein Vorbild sein. Den Patienten, die nach einem Schlaganfall plötzlich Probleme mit der Sprache haben; den Patienten, die nach einer Infektion das Gehör verlieren wie sie einst; den Patienten, die einen schweren Schicksalsschlag hinter sich haben, deren Leben sich plötzlich und unwiderruflich veränderte; die sich fühlen, als gäbe es keine Chance mehr auf einen normalen Alltag. Denn Ina weiß es besser. Sie weiß, dass es Lösungen gibt. Um das zu zeigen, dafür ist sie da.

Ina ist gut in ihrem Beruf. Sie kümmert sich, ist fleißig, aufmerksam, geschickt, einfühlsam. Sie hat Erfahrungen gemacht, die sie von ihren Kollegen abheben. Sie hat Herausforderungen gemeistert, die sie besser in ihrem Beruf gemacht haben. Ina ist Krankenschwester mit zwei Cochlea Implantaten.