JA hören

So lange habe ich mich auf diesen Tag gefreut. Träumt nicht jeder irgendwann von seinem Hochzeitstag? Ein wunderschönes weißes Kleid, alle Augen auf mich gerichtet, aber ich habe nur Augen für den Mann, der beim Altar wartet. Die Familie ist da, freut sich für mich, freut sich, dass ich mein Glück gefunden habe. Musik, die mir Tränen in die Augen treibt. Ringe, Verbundenheit, Brautstrauß, Feiern, Torte. Ein Versprechen für die Ewigkeit. Ein Tag voller Liebe. So habe ich mir das vorgestellt. Und dieses Versprechen soll ich nicht hören können?

Ich war schon immer ein Mensch, der gerne geplant hat. Meine Hochzeit war für mich ein Projekt, in das ich viel Zeit und Energie investiert habe. Von der Location, über die Blumen, bis hin zum Schleier: Ich wollte, dass alles perfekt wird. Und ich wollte, dass ich dieses Erlebnis mit allen Sinnen genießen kann. Denn was für viele selbstverständlich ist, war für mich lange ungewiss: Normalhörend geboren, verlor ich plötzlich mein Gehör am linken Ohr im Kindergartenalter. Damals dachte ich, es gäbe keine Lösung für mich, die Ärzte sagten mir, der Hörnerv sei geschädigt. Also versuchte ich das Beste aus der Situation zu machen. Richtungshören war unmöglich, Gespräche erforderten viel Konzentration und Anstrengung. Doch ich lernte Körpersprache zu deuten, meine visuelle Wahrnehmung wurde gestärkt. Ich versuchte aus meiner Schwäche eine Stärke zu machen. Trotzdem bin ich heute dankbar dafür, dass ich wieder beidseitig hören kann. Denn es stellte sich heraus, dass ich sehr wohl einen funktionierenden Hörnerv hatte und mich damit für ein Cochlea-Implantat qualifizierte.

Heute weiß ich, woher die Stimme kommt, die mich aus einem anderen Zimmer ruft. Ich kann mich einfacher orientieren, Gespräche sind eine Leichtigkeit und ich kann beim Musik machen den vollen Klangumfang genießen. Musik war immer ein wichtiger Teil meines Lebens, auch wenn ich sie lange nicht so erleben konnte, wie ich das gerne wollte. Mein Hochzeitslied steht für mich fest, seit ich ein kleines Mädchen war.

Ich habe viele schöne Dinge hören dürfen, seit ich mein Cochlea-Implantat trage. Doch der schönste Hörmoment war bei meiner Hochzeit: Bevor ich Richtung Altar schritt, hörte ich die Menschen leise reden. Ich hörte die Stimme meiner Mutter, meiner Freunde, aller Menschen, die ich liebe. Die Musik ertönte und ich ging zur Melodie eines Liebesliedes zu meinem zukünftigen Mann. Ich hörte, wie Eltern ihren Kindern zuflüsterten: „Schau, wie schön die Braut ist.“ Ich konnte hören, wie meine beste Freundin ein Taschentuch aus ihrer Tasche holte, weil sie so weinen musste. Ich konnte die Worte über Liebe und Ehe hören, die der Standesbeamte an uns richtete. Und ich konnte die Frage hören, die er anschließend an uns richtete, ob wir heiraten wollen, zueinander JA sagen. Dieses JA von meinem Mann zu hören, und das mit beiden Ohren, war wundervoll. Ich fühlte mich sicher, bekräftigt, geliebt.

Dass ein Wort so viel ausmachen kann, hätte ich nie für möglich gehalten. Nie in meinem Leben war ich mir bei etwas so sicher. Dieser Moment, untermalt mit den schönsten Liedern, die ich kenne und den Menschen um mich herum, die ich am meistens schätze, war eine unvergleichbare Erfahrung. Zu hören, wie ich mit meinem neuen Familiennamen angesprochen werde, ist noch immer ein komisches Erlebnis, an das ich mich erst gewöhnen muss. Ein neuer Klang, den ich neu zuordnen muss, der jetzt zu mir gehört. Jeden Tag höre ich neue Dinge und jeden Tag bin ich dankbar dafür. Doch mein Hochzeitstag hat mir noch einmal mehr gezeigt, wie wertvoll ein funktionierendes Gehör für mich ist. Dieses JA von meinem Mann klingt noch heute in mir nach. Es war das Schönste, was ich je hören durfte.