Plötzlich war es still

Hörtrainings Geschichte | Dauer: 04:49

Plötzlich war es still

Es war ein gewöhnlicher Montagnachmittag, als Hans merkte, dass etwas nicht stimmte. Er war gerade am Weg nach Hause von der Arbeit, saß im Auto und war in Gedanken schon daheim. Da passierte es. Der Verkehr um ihn herum wurde leiser, das Ticken der Blinkanlage verschwand, plötzlich ein lautes Zirpen. Ein Gefühl der Unruhe durchflutete seinen Körper. Etwas stimmte nicht. Und dann war es still. Kein Geräusch, kein Mucks, kein Ton. Nur Stille.

Hans kannte diese Stille von früher. Von seiner Zeit als Mensch, der nichts hören konnte. Durch einen Unfall war Hans im Alter von 18 Jahren ertaubt. Ein Schicksalsschlag, der seinen Alltag von Grund auf veränderte. Freunde wurden weniger, neue Kontakte mussten geknüpft und die Umgebung auf eine ganz neue Art kennengelernt werden.

Zwanzig Jahre lebte Hans in dieser Welt der Stille. Als er schließlich sein Cochlea Implantat erhielt, begann für ihn ein neues Leben. Ein Leben, in dem er viel plaudert und erzählt. In dem er auf Menschen zugeht und offen ist. Ein Leben, in dem er keine Angst haben muss, als dumm abgestempelt zu werden, weil er nicht versteht. Hans mochte dieses neue Leben. Und plötzlich, als die Stille zurückkehrte, war er wie zurückversetzt in diese Zeit davor. In eine Zeit, die er hinter sich geglaubt hatte. Eine einsamere Welt, eine traurigere Zeit. Jetzt war es nötig, wieder vom Mund abzulesen, Menschen um Verständnis zu bitten, Fremden zu erklären, dass er nichts hört. Der Druck, der vor Jahren abgefallen war, baute sich wieder auf: trotz Taubheit verstehen zu müssen und die Angst, verurteilt zu werden, wenn andere sein Nichtverstehen bemerkten. Schon fiel er in alte Muster zurück: schränkte Sozialkontakte ein, ging nicht mehr in den Hof, um mit den Nachbarn zu reden, verzichtete auf Freizeitaktivitäten.

25 Jahre konnte Hans auf sein Implantat vertrauen. 25 Jahre, die er immer wertzuschätzen wusste. Deshalb wollte er sein Wissen weitergeben. Menschen unterstützen, die in derselben Lage waren wie er und auch nicht mehr in einer stillen Welt leben wollten. Menschen, die vielleicht noch nicht wussten, welche Möglichkeiten es für sie gibt. Er gründete den Verein Cochlea Implantat Austria, widmete dieser Aufgabe sein Leben. Hans hatte Vertrauen in seine Hörlösung, Vertrauen, das er weitergeben wollte. Und aus diesem tiefgehenden Vertrauen heraus wusste er auch, dass der Ausfall seines Implantats nicht das Ende des Hörens für ihn bedeutete.

Schon wenige Wochen nach dem Ausfall seines 25 Jahre alten Geräts erhielt Hans ein neues Implantat. Vor der Operation war er aufgeregt. Seine größte Angst war, dass plötzlich noch etwas schiefgehen könnte, eine Reimplantation doch keine Option mehr wäre. Er lag auf dem Operationstisch und verstand nichts, wusste nichts, spürte nichts - außer sein klopfendes Herz. Doch die Ruhe der Menschen im Operationssaal, die Routine, die er in den Minuten vor der OP beobachtete, schenkten ihm Zuversicht.

An das neue Implantat muss sich Hans erst gewöhnen. Noch klingt alles etwas fremd. Doch auch das kann spannend sein: zu erforschen, wie sich Gegenstände anhören, welche Geräusche sich verändert haben. Schon wenige Tage nach der Aktivierung des neuen CI-Systems hört er seine alten CDs. Er setzt sich wieder zu den Nachbarn in den Hof. Er geht einkaufen, ohne den Mitarbeitern an der Kasse erklären zu müssen, dass er sie nicht verstehen kann. Er telefoniert wieder. Nimmt sein Leben wieder da auf, wo es an jenem Montag in seinem Auto zu einem jähen Halt kam.

25 Jahre konnte er sich auf sein Implantat verlassen. In den Tagen ohne seinen treuen Begleiter wurde ihm das bewusster als je zuvor. 25 Jahre, die wie im Flug vergangen waren, verglichen mit der kurzen Zeit, die Hans nicht mehr hören konnte. Das Vertrauen in sein Implantat wurde durch diese Erfahrung nicht geschwächt, im Gegenteil: Hans freut sich auf die nächsten 25 Jahre.