Veränderung hören

Hörtrainings Geschichte | Dauer: 05:08

Veränderung hören

„Du musst dich langsam fertig machen“, sagt Erwin. Inge hört gar nicht so genau hin. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und wirft nur einen kurzen Blick über den großen Computerbildschirm vor ihr, dem sie für die letzten Stunden ihre volle Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Sie muss endlich damit nachkommen, den vollen Posteingang an E-Mails zu beantworten. Die letzten Tage kam sie zu nichts, der Haufen an unbeantworteten Nachrichten und Anfragen zeigt das. Natürlich muss sie nicht alles alleine durchforsten, doch einige Mails muss sie eben persönlich lesen und beantworten, daran kommt sie nicht vorbei. Inges Mann Erwin steht noch immer vor ihr. Ungeduldig tippt er mit seinem Zeigefinger auf seine Armbanduhr. Inge seufzt. Die E-Mails werden wohl warten müssen.

Auf dem Weg nach Hause sieht sie sich die Umgebung an. Egal, wohin man in Innsbruck auch blickt, den Hintergrund ziert eine Wand an Bergen. Und mittendrin, in der Stadt im Herzen der Berge, liegt ein großes Gebäude, Inges Lieblingsgebäude. Es ist modern, viele Fenster, damit genug Licht hereinkommt, weite Flächen für die zahlreichen Menschen, die täglich ein und aus gehen. Es ist Inges ganzer Stolz, denn es ist ihre Firma. Dass es so weit gekommen ist, ist für sie immer noch schwer zu glauben. Doch was einst in einem Labor begann, ist heute ein weltweit agierendes und erfolgreiches Unternehmen geworden. Ein Unternehmen, das Menschenleben verändert.

Es begann in Wien, Inges Heimat. Sie studierte Elektrotechnik an der Technischen Universität. Die Wissenschaft wurde ihr bereits in die Wiege gelegt, ihre Mutter war Physikerin, ihr Vater Professor für Maschinenbau. Schon damals faszinierte sie das menschliche Gehör. Es muss doch eine Möglichkeit geben, Menschen mit Hilfe von Technik hören zu lassen, wenn der Körper Probleme damit hat. Innovation, Fortschritt und Veränderung. Drei Begriffe, die sie immer angespornt haben. Inge hat ein Motto, das schließlich auch zum Firmencredo wurde: Sie möchte Hörverlust als Barriere für Kommunikation und Lebensqualität verhindern. Und bis heute arbeitet sie unaufhörlich daran, dies in die Tat umzusetzen.

Inge steht vor dem Spiegel und sieht sich an. Sie trägt ein langes schwarzes Kleid, passend für den Anlass. Erwin bindet neben ihr seine Schnürsenkel, dann steht er auf und sie gehen los. Zum großen Networking Dinner im Rahmen eines Kongresses, an dem HNO-Ärzte und Spezialisten zusammenkommen. Nach den vergangenen Tagen voller Vorträge und Präsentationen der neuesten technischen Errungenschaften ist der heutige Abend ein entspannter Abschluss. Inge ist schon gespannt auf das Programm, denn jedes Jahr überlegen sich die Organisatoren etwas Neues: Der Mittelpunkt soll Freude und Kommunikation sein. Denn dafür steht nicht nur Inge mit ihrer Firma, sondern auch das Hören selbst.

Hören bedeutet Leben: Entdecken, erfahren, erkennen. Stets mit ihrem Ziel vor Augen gelang es Inge, revolutionäre Ergebnisse zu erzielen. Gemeinsam mit ihrem Mann entwickelte sie das erste mikroelektronische Mehrkanal-Cochlea-Implantat. Eine lange, bewegliche Elektrode ermöglicht es, elektrische Signale durch die Gehörschnecke an das Innenohr zu senden. Von dort geraten die Signale ans Gehirn und werden dort als Klänge wahrgenommen. Nicht nur Geräusche, auch Sprache kann so problemlos verstanden werden. Inge wusste, sie möchte an ihrer Idee so lange arbeiten, bis sie allen Menschen, die taub geboren wurden oder im Laufe ihres Lebens ihr Gehör verloren, helfen kann. Also gründete sie ein Unternehmen für die Entwicklung und die Herstellung ihrer Hörimplantate. Gemeinsam mit Erwin rief sie MED-EL ins Leben.

Heute, über 40 Jahre nach der Gründung, arbeiten tausende Menschen an der Herstellung und Weiterentwicklung der Hörlösungen. Auch Inge fühlt sich nach wie vor am wohlsten, wenn sie forschen und entwickeln kann, nicht nur zusehen, sondern selbst Hand anlegen darf. Täglich sieht sie, was ihre Erfindungen bewirken. Denn einige ihrer Mitarbeiter selbst sind Implantat-Träger. Ausruhen möchte sie sich jedoch nicht. Mit jeder Verbesserung, jedem Fortschritt, kommt die Technik dem natürlichen Gehör näher. Dieser Aufgabe hat Inge ihr Leben verschrieben.